15. Mai 2024

EINE ERKLÄRUNG VON PFARRER VOGELMEIER ZUR VERÖFENTLICHUNG DES EXTERNEN MISSBRAUCHSGUTACHTEN VOM 27.01.2022

Liebe Brüder und Schwestern,

ich möchte Ihnen allen meine Sicht auf die Veröffentlichung der externen Missbrauchsstudie vom vergangenen Donnerstag mitteilen. Ich habe bewusst damit gewartet, weil ich das alles erst einmal selbst verarbeiten musste und zum anderen die Pressekonferenz am Donnerstag abwarten wollte.

Das Ausmaß des Versagens, gerade im Hinblick auf die institutionelle Verantwortung der Leitungsebene ist erschreckend und erschütternd. Unser Kardinal Marx sprach in seiner Stellungnahme zurecht von einem Desaster. Die Folgen sind kaum absehbar. Zunächst einmal im Blick auf die Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche. Deren Leben sind nachhaltig zerstört worden. Das kann man weder heilen noch in irgendeiner Weise wieder gut machen. Diese Erkenntnis setzt sich auch auf der Leitungsebene immer mehr durch. Kardinal Marx sagte in der Pressekonferenz (ich zitiere) – „dass für mich die größte Schuld darin besteht, die Betroffenen übersehen zu haben. Das ist unverzeihlich. Es gab bei uns kein wirkliches Interesse an ihrem Schicksal, an ihrem Leiden.“[1] (Zitat Ende)
Was wir jetzt noch tun können ist, den Betroffenen zuzuhören, ihnen zu glauben, sie auf ihrem schweren Weg zu unterstützen und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wir können nur hoffen, dass das ein wenig hilft, das unfassbare Leid, das die Opfer durch Menschen in unserer Kirche erleiden mussten, zu lindern.

Die Veröffentlichung der externen Missbrauchsstudie ist aber auch ein tiefer Einschnitt für uns Seelsorgerinnen und Seelsorger, für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zahllosen Ehrenamtlichen und für alle Gläubige. Viele werden sich fragen, ob man den Verantwortlichen in der Kirche noch trauen kann – und ob man noch Teil dieser Kirche sein möchte. Wir werden nun verstärkt angefragt und infrage gestellt werden. Es wird noch schwieriger, in der heutigen Zeit als katholische Christen zu leben.

Darüber hinaus leben wird in einer Gesellschaft, die immer mehr die Fähigkeit zur Differenzierung verliert. Es heißt dann schnell die „Kirche“ und man übersieht, dass der weit überwiegende Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Gläubigen sich wirklich um das Gute bemüht. Auch das kann schmerzhaft sein und falls sie das möchten, stehen wir ihnen als Pastoralteam auch gerne zu Gesprächen zur Verfügung.

Was heißt das für nun unsere Stadtkirche? Wir sind seit einem halben Jahr dabei, ein institutionelles Schutzkonzept für unsere Stadtkirche zu erstellen. Dabei geht es um einen Verhaltenskodex, der das Miteinander, vor allem auch in der Kinder- und Jugendpastoral verbindlich regeln soll. Momentan geht der erste Vorschlag durch die einzelnen Gremien unserer Stadtkirche und die Änderungsvorschläge werden derzeit eingearbeitet. Nach Abschluss dieser Arbeiten wird dieses Schutzkonzept in Kraft gesetzt und auch auf unserer Homepage veröffentlicht.

Durch das Missbrauchsgutachten wurde ebenso deutlich, dass wir an einer Reform der Kirche nicht mehr vorbeikommen. Ich möchte noch einmal unseren Kardinal zitieren: „Wer jetzt noch systemische Ursachen leugnet und einer notwendigen Reform der Kirche in Haltungen und Strukturen entgegentritt, hat die Herausforderung nicht verstanden.“[2] (Zitat Ende)
Ich hoffe sehr, dass diesen Worten jetzt auch Taten folgen. Am synodalen Weg führt sprichwörtlich kein Weg vorbei. Wenn wir das nicht angehen, schaffen wir uns als katholische Kirche in Deutschland selbst ab. Wenn wir auch als Gläubige dazu wirklich bereit sind, werden diese notwendigen Veränderungen auch uns als Stadtkirche betreffen. Wohin uns diese Prozesse führen werden, kann ich noch nicht sagen. Ich kann Sie nur bitten, sich dann auf diese Veränderungen auch einzulassen, diese mitzutragen und mitzugestalten.

Ein Letztes: ich habe vorher angedeutet, dass sich mit Sicherheit viele fragen, ob man noch in dieser Kirche bleiben kann. Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ich kann Ihnen nur meine persönliche Meinung dazu sagen. Für mich gibt es immer noch gute Gründe, um in dieser Kirche zu bleiben. Zum einen, weil die Botschaft des Evangeliums immer noch eine verändernde Kraft hat, die es wert ist, weitererzählt zu werden. Und zum anderen sind es die vielen Gläubigen, die vielen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die sich mit viel Energie und Überzeugung für unsere Kirche und die Verbreitung der frohen Botschaft einsetzen. Darüber hinaus kann man einen Veränderungsprozess nur dann mitgestalten, wenn man weiterhin Teil dieser Kirche bleibt, selbst wenn diese Kirche immer auch Stückwerk bleiben wird.

Ich kann nur hoffen, dass auch Sie genug Gründe finden, um in dieser Kirche bleiben zu können und dass wir weiterhin in unserer Stadtkirche auf einem guten gemeinsamen Weg in die Zukunft weitergehen werden.

Diese Stellungnahme wurde von Pfarrer Vogelmeier in den Sonntagsmessen am 29. und 30.01.2022 in der Pfarrkirche Heilige Familie verlesen.

In der Pfarrkirche Maria Hilf wird Pfarrer Vogelmeier diese Stellungnahme am Sonntag, den 06.02.2022 um 09.30 Uhr verlesen.



[1] Siehe Pressemitteilung des Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx vom 27.01.2022

[2] Siehe Pressemitteilung des Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx vom 27.01.2022